Heute sprechen wir über ein Land, das ich persönlich bisher noch nicht so auf dem Radar hatte: Vanuatu. Diese Republik mit seinen 83 Inseln ist noch sehr jung und hieß vor 1980 Neue Hebriden – ein britisch-französisches Kondominium. Vanuatu liegt im Südpazifik. Das Land ist für seine tropischen Regenwälder und insbesondere für einen der am leichtesten zugänglichen aktiven Vulkane der Erde bekannt: Yasur auf der Insel Tanna. Doch wieso erzähle ich euch das? Weil heute der Custom Chief’s Day ist. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn ich an das englische Wort „Chief“ denke, dann habe ich sofort Bilder von Polizisten oder Inspektoren im Kopf. Und beim Wort „Custom“ denke ich entweder an „Zoll“ oder auch an Bräuche.
Der Custom Chief’s Day wird in der Republik Vanuatu jährlich am 5. März als Feiertag begangen. An diesem Tag wird der Nationale Rat der Stammeshäuptlinge gewürdigt, der 1977 gegründet wurde, um neue Wege zur Erhaltung der traditionellen Lebensweise in Vanuatu vorzuschlagen. Man nennt diesen Nationalen Rat auch „Malvatu Mari“. Das Wort “mal” bedeutet “Häuptling”, “vatu” bedeutet “Stein”, “Insel” oder “Ort”, während “mauri” “etwas Lebendiges” bedeutet. Die Häuptlinge werden von den Mitgliedern der Häuptlingsräte der Bezirke gewählt. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, Vorschläge zur Erhaltung der traditionellen Lebensweise in Vanuatu zu machen und die Regierung in Fragen der Kultur und der einheimischen Sprachen Vanuatus zu beraten. Obwohl sie keine eigentliche Gesetzgebungsbefugnis haben, ist ihr Rat bei der Regierung stets willkommen.
Vanuatu ist wie gesagt sehr jung. In den 1880er Jahren erhoben Frankreich und das Vereinigte Königreich Anspruch auf Teile des Archipels. Im Jahr 1906 trafen beide Kolonialmächte eine Vereinbarung, Vanuatu im Rahmen eines anglo-französischen Kondominiums gemeinsam zu verwalten, und die Inseln wurden in Neue Hebriden umbenannt. Am 30. Juli 1980 erlangten die Neuen Hebriden ihre Unabhängigkeit von der Kolonialherrschaft. Am 15. September 1981 wurden sie in die Vereinten Nationen aufgenommen. Während der ganzen Zeit der Fremdverwaltung hielten die meisten Ni-Vanuatu an ihren Traditionen fest und weigerten sich, sich europäischen sogenannten Standards anzupassen. So werden in jeder Gemeinschaft die Häuptlinge als oberste Autorität anerkannt. Deshalb war es so wichtig, einen nationalen Tag zu ihren Ehren einzuführen. Am Tag der Häuptlinge feiern die Menschen in Vanuatu mit Festen, Sportveranstaltungen, Landwirtschaftsmessen, Kunstfestivals, Karnevals, Gesang, Tanz und anderen Festivitäten.
Vor allem die Sprachen aufrecht zu erhalten ist von großer Wichtigkeit. 72,6 % der Bevölkerung geben als Muttersprache eine der 110 Sprachen Vanuatus an. Mit dieser Menge an Sprachen hat Vanuatu die höchste Sprachendichte der Welt. Alle diese Sprachen zählen zum melanesischen Zweig der ozeanischen Sprachgruppe. Bislama, eine in der britisch-französischen Kolonialzeit entstandene Kreolsprache, wird von knapp 23,1 % als erste Muttersprache angegeben; außerdem gelten auch Englisch und Französisch als Amtssprachen, werden aber kaum noch aktiv gesprochen: Englisch wird von 1,9 % der Einwohner, Französisch von 1,4 % gesprochen.
Wie sprechen die Menschen untereinander, wenn es so viele Sprachen gibt? Einwohner ohne gemeinsame Sprache verständigten sich früher über Zeichnungen, die in den Sand gezeichnet wurden. Rituelle Sandzeichnungen, die aus einer durchgehenden Linie bestehen, wurden 2003 von der UNESCO als Kulturerbe der Menschheit anerkannt.
Apropos Kommunikation: Wenn ein Treffen der Dorfbewohner anstand, blies der Stammeshäuptling in ein großes Muschelhorn, das sogenannte Pupu. Kurz darauf waren alle Einwohner beisammen. Die Menschen achteten akribisch auf die Signale der Natur, des Windes und der Klänge des Waldes. Doch auch in Vanuatu gibt es inzwischen Handys und weitreichende Internetverbindung. Viele Häuptlinge sehen die Traditionen in Gefahr und versuchen, dagegen vorzugehen. Es scheint, als würden die Malvatu Mari bald ihre Funktion als Hüter der Traditionen in vollen Zügen zum Einsatz bringen müssen.